San Gimignano in der Toskana

Der Turm, Symbol der Macht

Von wo auch immer man ankommt, man sieht San Gimignano mit seinen zahlreichen Türmen aus einem Hügel (334 m) aufragen. Heute zählt man noch 13 Türme. Man sagt, im 14. Jahrhundert seien es 72 gewesen, was der Zahl der wohlhabenden Familienclans entsprach. Sie konnten ihre ökonomische Potenz durch den Bau eines Turmes demonstrieren. Die ersten Türme wurden vereinzelt errichtet, in einer weniger stabilen Bauweise, sehr verschieden von jener kompakten Bauweise, die wir heute sehen. Verschieden waren auch die Wohnbedingungen und die Lebensweise in den Türmen. Die Zimmer im Inneren der Türme waren klein, im Allgemeinen 1×2 m. Es gab nur wenige Fensteröffnungen. Die ca. 2 m dicken Mauern sorgten für Kühle im Sommer und Wärme im Winter. Der Turm war im Mittelalter das stärkste Symbol der Macht, vor allem aufgrund der Tatsache, dass die Planung und der Bau eines solchen Turms weder einfach noch wirtschaftlich sinnvoll waren. Man musste die Baumaterialien in Steinbrüchen erwerben, sie in die Stadt transportieren und dann den Turm errichten. Das konnten sich nur die wohlhabendsten Familien leisten, hauptsächlich die reichen Kaufleute. Der Turm diente nicht in seiner ganzen Höhe als Wohnung. Im Erdgeschoss waren die Läden, im ersten Stock die Zimmer und weiter oben die Küche. Diese Anordnung der Zimmer folgte den elementarsten Regeln der Sicherheit. Die Küche, in der man gewöhnlich das Feuer entfachte, befand sich im obersten bewohnten Stockwerk, damit man im Falle eines zufälligen Brandes einen Fluchtweg aus dem Turm offen hatte.

Die Türme wandeln sich

Während des 12. Jahrhunderts sind die das Bauwesen betreffenden Veränderungen auf eine Verbesserung des täglichen Lebens ausgerichtet. Die Notwendigkeit von größeren Innenräumen und zahlreicheren Fensteröffnungen induziert neue konstruktive Methoden, die insbesondere die Türme betreffen. Das Referenzmodell für die Türme, die von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts gebaut wurden, ist das pisanische, so genannt nach der großen Anzahl von Gebäuden, die in der berühmten „città marinara toscana“ als solches typologisiert wurden. Die Gebäude dieses Typs zeichnen sich – in den unteren Stockwerken – durch eine oder mehr hohe und schmale Fensteröffnungen aus, die sich über die ganze Breite des Turms verteilen. Die Fensteröffnungen, die sich über zwei oder mehr Stockwerke erstrecken, werden im Inneren durch hölzerne Geschossbalkenlagen, äußerlich durch hölzerne Balkone unterbrochen. Solche Balkone erlaubten eine Erweiterung der Räume außerhalb der Wände des Gebäudes.

Vom Turm zum Palast

Vom Ende des 12. Jahrhunderts baut man außer den Türmen nach dem bekannten Schema auch weniger hohe Gebäude, die man schon als „Palazzi“ (palazzo = Palast, repräsentatives Stadthaus) bezeichnen kann. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts an, setzt sich allmählich der Gebrauch von Backsteinen sowohl für ganze Gebäude, als auch für größere Anbauten durch. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts werden keine Türme mehr gebaut, statt dessen errichtet man Palazzi mit Hilfe moderner Techniken und dem Zeitgeist entsprechend. Zur gleichen Zeit legen größere Städte wie Florenz, Pisa, Lucca oder Siena jeweils eigene Baustile fest. Dies geschieht nicht in San Gimignano, wo vielmehr eine vielseitige Architektur vorherrscht, in der sich die Stile der Städte vereinigen, mit denen man Kontakte pflegt. Man schafft so eine Architektur, die sich gerade durch diese Durchmischung als originell erweist. Die ökonomische, architektonische und kulturelle Entwicklung endet Mitte des 14. Jahrhunderts, als die Kommune unter die Herrschaft von Florenz fällt. Die Seuchen und Hungersnöte im 14. und 15. Jahrhundert dezimieren die Bevölkerung. Zählt San Gimgnano zu Beginn des 14. Jahrhunderts noch 13.000 Einwohner, beträgt ihre Zahl zum Ende des 15. Jahrhunderts nur noch 3.000. Das nachmittelalterliche San Gimignano ist daher eine entvölkerte im Niedergang begriffene Kommune. Die Türme stürzen ein, die Palazzi verfallen. Die Bauten des 15. Jahrhunderts sind eher simpel, meistens mit einheitlichen Fensteröffnungen, gewöhnlich nach dem Vorbild bereits existierender Gebäude, oftmals einheitlich verputzt. In jüngerer Zeit ist es gelungen, die Stadt mit Ihren mannigfaltigen Kunstwerken zu bewahren. Dies ermöglichte die Anerkennung als Weltkulturerbe durch die UNESCO.
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